Tag2-3 / 25. Okt Wissenschaftliche Grundlagen Zusammenfassung: Dr. Kevin Feeney: Recht, Kultur & Pharmakologie

Dr. Kevin Feeney: Recht, Kultur & Pharmakologie des Fliegenpilzes – vom Mythos zur gelebten Praxis

Hinweis: Das Interview wurde auf Englisch geführt; die nachfolgende Zusammenfassung ist unsere deutsche redaktionelle Übersetzung.

Am zweiten Tag des Amanita Online Kongress 2025 sprach Dr. Kevin Feeney – Kulturanthropologe und Jurist, Programmleiter und Senior Lecturer für Interdisziplinäre Studien an der Central Washington University (USA), Mitautor und Herausgeber von „Fly Agaric: A Compendium of History, Pharmacology, Mythology & Exploration“ – über die wachsende Bedeutung von Amanita muscaria im Spannungsfeld von Recht, Kulturgeschichte und Praxis.

Frühe Faszination & die Lücke verlässlicher Informationen

Feeneys Interesse begann früh: Während psilocybinhaltige Pilze in Handbüchern präsent waren, fehlten zu Amanita muscaria praktische Details – von Identifikation und Zubereitung bis zu verlässlichen Erfahrungsberichten. Diese Leerstelle motivierte ihn, ein umfassendes Nachschlagewerk zu schaffen, das Geschichte, Pharmakologie, Volkskunde, Identifikation, therapeutische Anwendungen und Praxisberichte integriert.

Warum das Interesse heute explodiert

In den letzten zehn Jahren beobachtet Feeney eine exponentielle Zunahme des Interesses: gesellschaftlich weichere Haltungen gegenüber Psychedelika, rechtliche Zugänglichkeit von Amanita in vielen Ländern und die Möglichkeit, ohne illegale Kanäle Erfahrungen zu sammeln. Parallel entstehen Rituale und Zeremonien in Europa und Nordamerika sowie therapeutische Anwendungen in kleinen Dosen.

Pharmakologie: Muscimol & Ibotensäure – anders als Psilocybin

Amanita wirkt nicht über Serotoninrezeptoren (wie klassische Psychedelika), sondern vor allem über Muscimol (GABAerg; beruhigend, nicht suchterzeugend) und Ibotensäure (glutamaterg; anregend). Das erklärt Effekte wie Entspannung, soziale Offenheit, aber auch Besonderheiten wie Koordinationsstörungen, Blackouts in hohen Dosen – Phänomene, die bei Psilocybin so nicht typisch sind. Diskussionen zur Neurotoxizität von Ibotensäure ordnet Feeney als Frage der Balance ein: Tierstudien mit direkter Hirninjektion sind nicht mit oraler Aufnahme kleiner Mengen gleichzusetzen; belastbare Humanstudien fehlen.

Zubereitung & Decarboxylierung: warum der Wie-Faktor alles prägt

Frische Pilze enthalten überwiegend Ibotensäure; beim Trocknen (Decarboxylierung) entsteht mehr Muscimol. Feeneys Auswertung hunderter Berichte: höchste GI-Beschwerden (Übelkeit/Erbrechen) bei frischem Verzehr; am geringsten bei getrocknet->Tee (ohne Feststoffe). Wer ein muscimolbetontes Profil wünscht, nutzt „Sour-Tea“: pH-Absenkung (z. B. Zitrone) und längeres Simmern zur verstärkten Umwandlung von Ibotensäure in Muscimol. Klinisch unterscheiden sich Syndrombilder von muscaria und pantherina oft – Feeney betont jedoch: Das Verhältnis Ibotensäure/Muscimol durch Zubereitung kann ähnliche Muster in beiden Arten erzeugen.

Sicherheit: Set & Setting, Sitter & praktische Risiken

Feeney unterstreicht Eigenverantwortung und vermeidet Dosierungsempfehlungen. Wichtige Risiken hoher Dosen sind analgetische Effekte (vermindertes Schmerzempfinden), Tiefschlaf, Desorientierung und in seltenen Fällen deliranter Zustand. Praktische Gefahren (z. B. Unterkühlung im Freien) sind dokumentiert; deshalb: vertraute Begleitung/Sitter, sichere Umgebung, langsame Titration. Potenz variiert stark zwischen Fruchtkörpern – Feeney rät zur Homogenisierung (Mischung/Pulver) und weist auf mögliche Muscarin-Begleitwirkungen (Speichelfluss/Schwitzen) hin.

Zeremonien & „Small Doses“ statt Heroik

Gemeinsam mit Tristan Kallweit untersuchte Feeney rituelle Kontexte: Viele Leiter:innen arbeiten bewusst mit kleinen Dosen, um Öffnung, Verbundenheit, Innenschau zu fördern – nicht mit „überwältigenden“ Hochdosen, die unvorhersehbar und sicherheitlich heikel sein können. Feeney plädiert dafür, die Kraft der Subtilität wiederzuentdecken: alltagsverträgliche, kleine Mengen können für manche Anliegen hilfreicher sein als seltene Extremreisen.

Kulturelle Rückbesinnung & Ausblick der Forschung

Feeney sieht Amanita als europäisch verwurzelte Alternative für Menschen, die nicht auf außereuropäische Traditionen zurückgreifen möchten. Forschungsseitig wünscht er sich klinische Studien (z. B. Schmerz, Angst, Schlaf), bessere Daten zur oralen Ibotensäure sowie Feinarbeit an Sprache, Ritualmusik und Liturgie einer entstehenden Amanita-Kultur. Sein Schlussgedanke: „Langsam. Zuhören. Respekt.“ – Beziehungen entstehen nicht durch Abkürzungen.

Fazit

Dr. Kevin Feeney verbindet juristische, ethnologische und pharmakologische Perspektiven zu einem nüchternen, zugleich ermutigenden Bild: Amanita muscaria ist weder Märchenfigur noch „Psychedelika-Kopie“, sondern ein eigenes Feld – mit Risiken, Potenzialen und viel Raum für verantwortungsvolle Kulturpraxis.


Hinweis der Amanita Academy: Wir möchten ausdrücklich darauf hinweisen, dass wir uns von jeglichen medizinischen, therapeutischen oder inhaltlichen Aussagen der im Amanita Online Congress 2025 vertretenen Sprecher distanzieren. Wir möchten lediglich die Inhalte der einzelnen Vorträge neutral zusammenzufassen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen – ohne Wertung, Empfehlung oder Einflussnahme. Die in den Interviews und Präsentationen geäußerten Meinungen spiegeln nicht zwangsläufig die Ansichten der Amanita-Academy wider. Wir stellen dieses Wissen zur Verfügung, um den Diskurs zu fördern und interessierten Menschen die Möglichkeit zu geben, sich ein eigenes Bild zu machen. Alle Videos können auf der offiziellen Webseite des Kongresses eingesehen werden: http://amanita-congress.de/

Informationen über den Interviewpartner

Dr. Kevin Feeney

Fly Agaric: Geschichte, Pharmakologie & Mythologie

Dr. Kevin Feeney, PhD und JD, ist Autor und Forscher mit akademischem Hintergrund in Recht und kultureller Anthropologie. Sein bekanntestes Werk „Fly Agaric: A Compendium of History, Pharmacology, Mythology, and Exploration“ (2020) gilt als eines der umfassendsten Nachschlagewerke über den Fliegenpilz – seine Geschichte, Wirkstoffe, kulturellen Bedeutungen und mythologischen Bezüge.

Feeneys Forschung wurde in zahlreichen wissenschaftlichen Journalen veröffentlicht, darunter das International Journal of Medicinal Mushrooms, das Journal of Psychoactive Drugs und Human Organization. Seine Arbeit schlägt eine Brücke zwischen Ethnobotanik, Pharmakologie und Kulturgeschichte.

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