Tag2-4 / 25. Okt Wissenschaftliche Grundlagen Zusammenfassung: Tristan Kallweit – Toxizitätsforschung des Fliegenpilzes

Interview-Zusammenfassung:
Tristan Kallweit – Toxizitätsforschung des Fliegenpilzes

Datum: 25. Oktober 2025 | Kategorie: Forschung & Praxis

Vom ersten Moment an wirkt Tristan Kallweit sachlich, ruhig und neugierig auf das, was zwischen Kultur, Wissenschaft und gelebter Praxis entsteht; sein Blick bleibt immer offen für Widersprüche, besonders dort, wo der Fliegenpilz gleichzeitig als „Giftpilz“ gefürchtet und als rituelles Hilfsmittel respektiert wird.

Über den Sprecher

Tristan Kallweit studierte Geographie, Landschaftsökologie und Ethnologie in Greifswald und Hamburg und promoviert an der Universität Kassel im Bereich Gesellschaftsgeschichte; seine Forschung befasst sich mit Mensch–Natur- und Mensch–Tier-Beziehungen der Neuzeit mit einer ausdrücklich ethnologischen Perspektive, die kulturelle Vorannahmen bewusst hinterfragt.

Aktuelle Publikationen & Fokus

Kallweit veröffentlicht zur Toxizität von Amanita muscaria und gemeinsam mit Kevin Feeney  (das Feeney Interview findest du hier) ein Kapitel zu therapeutischem und spirituellem Gebrauch des Fliegenpilzes im 21. Jahrhundert; im Interview betont er die Spannung zwischen historisch-kulturellen Zuschreibungen und aktueller Praxis in Retreats.

Forschungsdesign

Die Arbeit kombiniert eine Online-Umfrage mit rund 120–140 Teilnehmenden, Interviews mit etwa 20 Akteurinnen und Akteuren aus Szene und Infrastruktur sowie teilnehmende Beobachtungen in drei Zeremonien in Süddeutschland und den Niederlanden; ergänzend fließen Gespräche mit Leitenden aus der Schweiz und Nordamerika ein.

Zentrale Erkenntnisse

  1. Der Fliegenpilz trägt in westlichen Kontexten eine doppelte kulturelle Zuschreibung als „Giftpilz“ und rituelles Hilfsmittel, die auch in Zeremonien spürbar bleibt.
  2. Viele Zeremonieleitende berichten, „gerufen“ worden zu sein, was an schamanische Erzähltraditionen anknüpft.
  3. Das wachsende Interesse seit ca. 2015 korreliert mit gesellschaftlicher Enttabuisierung psychoaktiver Substanzen und mehr persönlicher Erfahrung im Umfeld.
  4. Wissen reduziert pauschale Gefahreneinschätzungen: Je höher das Pilzwissen, desto differenzierter wird Toxizität eingeschätzt.

Toxizität: Wahrnehmung vs. Erfahrung

Kallweit beschreibt eine Diskrepanz zwischen alarmistischen Etikettierungen und vorsichtigen Selbsterfahrungen; Selbstdosierte Versuche mit geringer Dosis und sorgfältiger Beobachtung zeigen keine Grundlage für pauschale Todeswarnungen, zugleich betont er Variabilität, Vorsicht und methodisches Herantasten.

Wirkstoffvariabilität & Zubereitung

Die Gehalte an Ibotensäure und Muscimol schwanken je nach Teil, Standort, Jahrgang und Verarbeitung; Trocknung und Erhitzung fördern typischerweise die Decarboxylierung Richtung Muscimol, jedoch bleiben individuelle Wahrnehmungen und Bekömmlichkeit heterogen, weshalb niedrige Einstiegsdosen, saubere Herkunft und Protokollierung der Effekte empfohlen werden.

Set & Setting

Mindset, Erwartungen und Rahmen prägen die Erfahrung maßgeblich; kulturelle Vorurteile („Giftpilz“) können Angst triggern, während sichere, gut moderierte Settings eher ruhige, bodenende und nicht überwältigende Prozesse begünstigen.

Struktur der beobachteten Retreats

Ruhige Einstiegsphase mit Liegen, Atem und leichten Dosen, gefolgt von aktiveren Sequenzen wie Körperarbeit, Ausdrucksbewegung, Naturkontakt, Trommel und Gesang; Ziel ist weniger die große Vision als eine sanfte, ressourcenorientierte Arbeit mit Körperwahrnehmung, Stimmung und Anbindung.

Anwendungsfelder (Berichte)

Äußerlich werden Tinktur oder Salbe u. a. bei Gelenk- und Arthrosebeschwerden erwähnt; innerlich berichten Teilnehmende über Unterstützung bei Schlaf, Angst, Stimmung und Stressregulation im niedrigen Dosisbereich, stets mit Betonung auf Eigenbeobachtung, Dosisfindung und Qualität.

Forschungsbedarf

Therapeutisches Potenzial sollte systematisch geprüft werden, inklusive sauberer Wirkstoffanalytik, Herkunftskontrolle, Dosis-Wirk-Beziehungen und Kulturdimensionen; narrativ tradierte Gefährlichkeitsannahmen des 20. Jahrhunderts verdienen kritische Reanalyse im Licht aktueller Daten.

Fazit der Redaktion

Kallweits Beitrag zeichnet ein nüchternes und differenziertes Bild: Amanita muscaria ist weder pauschal gefährlich noch eine Wunderlösung; sorgfältige Qualität, niedrige Dosen, dokumentierte Selbstbeobachtung und ein tragfähiges Setting sind die Grundlage für verantwortungsvolle Praxis.

Weiterführender Link

http://amanita-congress.de/

 


Hinweis der Amanita Academy: Wir möchten ausdrücklich darauf hinweisen, dass wir uns von jeglichen medizinischen, therapeutischen oder inhaltlichen Aussagen der im Amanita Online Congress 2025 vertretenen Sprecher distanzieren. Wir möchten lediglich die Inhalte der einzelnen Vorträge neutral zusammenzufassen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen – ohne Wertung, Empfehlung oder Einflussnahme. Die in den Interviews und Präsentationen geäußerten Meinungen spiegeln nicht zwangsläufig die Ansichten der Amanita-Academy wider. Wir stellen dieses Wissen zur Verfügung, um den Diskurs zu fördern und interessierten Menschen die Möglichkeit zu geben, sich ein eigenes Bild zu machen. Alle Videos können auf der offiziellen Webseite des Kongresses eingesehen werden: http://amanita-congress.de/

Informationen über den Interviewpartner

Tristan Kallweit

Toxizität & Therapeutisches Potenzial

Tristan Kallweit absolvierte Studiengänge in Geographie, Landschaftsökologie und Ethnologie an den Universitäten Greifswald und Hamburg. Derzeit promoviert er an der Universität Kassel im Fachbereich Gesellschaftsgeschichte. Seine Forschung widmet sich den Beziehungen zwischen Mensch, Natur und Tier, insbesondere in der Neuzeit.

Mit einem ethnologischen und interdisziplinären Ansatz untersucht er kulturell geprägte Wahrnehmungen und Vorurteile in Bezug auf Natur und deren Akteure. Dieser Blick über den herkömmlichen Tellerrand führte ihn schließlich auch zum Thema Fliegenpilz und dessen gesellschaftlicher Bedeutung.

Akademischer Hintergrund:

  • 🎓 Studium: Geographie, Landschaftsökologie & Ethnologie (Universitäten Greifswald & Hamburg)
  • 📚 Promotion: Universität Kassel, Fachbereich Gesellschaftsgeschichte
  • 🔬 Forschung: Mensch-Natur- & Mensch-Tier-Beziehungen, ethnologische Perspektive
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